28. März 2024

Alles nur ein Traum von A. Beauvrye

Gelangweilt lehnte sich Yasmin an den Stamm der Eiche. Ihre Beine lagen locker auf dem dicken Ast und der Wind umspielte ihr blondes, lockiges Haar. Immer wieder schielte sie durch die Baumkrone und hielt nach ihrem besten Freund Ausschau. Doch weit und breit war nichts von ihm zu sehen. Er wollte sich doch unbedingt hier treffen und nun ließ er sie warten.

Sie schloss die Augen und ließ ihre Gedanken treiben bis sie zerfaserten und sie langsam einschlief.

~

Modriger Geruch und die Tatsache, dass sie nun auf Stein lag, ließ Yasmin verwundert die Augen öffnen. Wie war sie hier hergekommen? Wie hatte es jemand geschafft hier her zu bringen ohne, dass sie etwas davon mitbekommen hatte? Sie war inmitten eines Kerkers. Die Gittertür war geschlossen, ein kurzes Prüfen zeigte es war auch verschlossen. Doch niemand war zu hören oder zu sehen. Sie würde ganz sicher nicht ihrem Entführer die Genugtuung bieten zu zeigen, wie sehr sie gerade hier heraus wollte. Stattdessen sah sie sich genauer in der Zelle um. Außer Dreck und vor sich hin moderndem Stroh war nicht viel zu erkennen.

Wäre sie nur eine Formwandlerin, dann wäre es ein leichtes durch das Gitter zu verschwinden. Ihre Tiergestalt wäre sicher etwas kleines, unauffälliges. Einfach durch die kleinsten Ritzen oder Spalten verschwinden. Nachdenklich spielte sie mit ihren Locken, verzog angewiedert das Gesicht als sie darin Reste von dem Stroh entdeckte die sie umständlich versuchte zu entfernen. Dabei kam ihr eine andere Idee in den Sinn. Sie tastete sich ab aber man hatte ihren im Stiefel versteckten Dolch heraus gezogen. Damit hätte sie sicher das Schloss aufbrechen können.

„Black du Nichtsnutz, wo bist du?“, flüsterte sie verärgert, doch bereute sie ihre Worte sofort wieder. Ihr bester Freund war nicht Schuld an ihrer Lage. Anstatt sinnlose Schuldzuweisungen zu machen sollte sie lieber versuchen hier wieder heraus zu kommen.

Sie Schritt die Zelle ab und schob mit dem Fuß immer wieder den Dreck hin und her. Dann hörte sie etwas metallisches, das über den Boden sprang. Als sie es sich genauer besah fand sie einen Nagel. Das könnte hilfreich werden.  Zusätzlich hatte sie noch eine Brosche. Zusammen mit dem Nagel konnte sie damit vielleicht das Schloss öffnen. Sie löste die Brosche, bog sie auf und hantierte ein wenig bis sie die beiden Spitzen in dem Schloss versenkt hatte. Dann begann sie das innere damit abzutasten um heraus zu finden, was sie innerhalb der Mechanik bewegen musste. Da, etwas gab nach! Ein metallisches Schnappen und ein kurzes Geräusch, als ob Metall auf Metall schlug und der Widerstand war weg. Der Nagel war abgebrochen. Die Brosche so verkeilt das sie sich weder vor noch zurück bewegen ließ. Wütend warf sie den Rest von dem Nagel von sich. „Wäre ja auch zu einfach gewesen.“

Verzweifelt lehnte sie sich gegen die angrenzende Wand. Dreck rieselte an ihrem Rücken hinunter und einige der Steine gaben nach. Sofort drehte sie sich um. Tatsächlich mit einigem Dreck an Kleidung und Fingern hatte sie es geschafft das Loch soweit aufzuschieben, dass sie gerade so durchkriechen konnte. Der Rest war noch fest vermörtelt. Doch es würde reichen. Flach legte sie sich auf den Boden und zog sich durch den Schmutz in die Zelle nebenan. Vielleicht hatte sie Glück und sie war unverschlossen. Auf ihre Tätigkeit hatte niemand reagiert. Als sie durch das Loch geschielt hatte hatte sie zwar gemeint etwas gesehen zu haben, aber da nichts reagiert hatte wähnte sie sie leer. Doch sie irrte sich. An der hinteren Wand war jemand angekettet. Da er ihr nicht gefährlich werden konnte widmete sie sich der Tür und drückte diese prüfend. Verschlossen.

„Du willst doch nicht schon wieder gehen? Du bist doch gerade erst gekommen. Vielleicht kann ich dir ja einen Umtrunk anbieten?“ Er legte seinen Kopf schief und präsentierte seine Halsschlagader.

Yasmin schluckte schwer. Sie hatte Durst, ihr ganzer Mund war ausgetrocknet und diese Ader pulsierte so verführerisch. Bis hier her konnte sie den kräftigen Herzschlag hören. Das schien auch das einzige zu sein, das an diesem Kerl noch kräftig war. „Warum solltest du?“

Gleichgültig zuckte der Gefangene mit den Schultern. „Was sollte schon schlimmes passieren? Das du mich hier tötest und damit aus der Eintönigkeit der Gefangenschaft befreist? Der Tod ist auch nur ein langer Traum.“ Inzwischen war Yasmin direkt bei ihm. Sie hatte sich so dicht über ihn gebeugt das er ihr ins Ohr flüstern konnte. „Und dieser Traum verheißt Freiheit.“ Ein Schauer überzog ihren gesamten Körper. Kurz darauf konnte sie sich nicht länger zurückhalten und versenkte ihre Zähne in seinem Hals. Während ihre Sinne überflutet waren von dem Geruch und dem Geschmack des Blutes. Vernahm sie noch leise die letzten Worte des Sterbenden. „Und du wirst mich begleiten Sonnenkohle!“

Mit einem Mal verloren die Farben ihren Platz und ordneten sich an der völlig falschen Stelle wieder ein. Es war völlig unmöglich für Yasmin sich von dem köstlichen Geschmack des Blutes zu trennen. Erst als der Herzschlag völlig erloschen war, konnte sie die Zähne aus dem toten Körper ziehen. Die Konturen verloren ihre Form. Wie hatte es sein können das sie diesen wölfischen Gestank nicht wahrgenommen hatte? Nun würde sie sterben wie ein dummes Vampirkind das die einfachsten Dinge nicht begriff. Ihre Gliedmaßen gehorchten ihr nicht mehr und sie prallte hart auf dem steinernen Boden auf. Ihr Körper zuckte und alles verschwand in einem Farbenmeer, ehe ihre Sinne ihren Dienst versagten.

 

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Völlige Dunkelheit. Etwas das Yasmin bisher selten erlebt hatte. Etwas weiches, schweres lag auf ihr und schien sie regelrecht zu erdrücken. Mit Mühe kämpfte sie sich darauf hervor. Um direkt in die gigantischen Knopfaugen einer Maus zu blicken. Neugierig beschnüffelte das Tier Yasmin. Doch als es sich sicher war das sie weder eine Gefahr noch etwas zu essen war wandte sie sich ab und sah sich anderweitig um.

Wieso war dieses Tier so gigantisch? Wo war sie? Erstaunt sah sie sich um. Doch sie war noch immer in dieser Zelle nur alles war nun so riesig. Oder sie war so winzig? Langsam aber stetig wurde ihr bewusst das sich ihr ganzer Körper so normal und doch so anders anfühlte. Sie hatte sich in eine Kröte oder so etwas verwandelt. Der Werwolf hing leblos, wie eine kaputte Marionette, in seinen Ketten. hatte die Gefangenschaft das Blut in seinem Körper so weit geschwächt das es sie nicht töten konnte? Aber warum hatte sie sich verwandelt?

Doch so würde sie jetzt durch die Gittertür passen. Sie kämpfte sich von dem Stoffstapel runter auf dem sie saß und legte die Strecke quer durch die Zelle zurück. Wie lang diese Strecke für eine Kröte doch war. Endlich, Freiheit!

 

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Eine Wiese, ein kleiner See, gespeist von einer kleinen Quelle. Es war angenehm hier. Sie setzte sich unter den Schatten eines Steines und genoss die Geräusche, Gerüche die ihre Sinne verwöhnten. Mit einem Mal wurde sie von Händen umfasst und hochgehoben. Irritiert blinzelte sie und sah in ihr eigenes gigantisches Kindergesicht. Das war faszinierend und verstörend zugleich. Verstehen konnte sie nichts aber sie erinnerte sich an diese Szene aus ihrer Kindheit zurück. Wie sie vergnügt gelacht hatte und ihn freudig ihrer Mutter gezeigt hatte. Das wütende Toben dröhnte nun noch mehr in ihren Ohren als es damals schon getan hatte.

„Wirf sofort dieses wiederliche SChleimgetier weg, sieh dich nur wieder an. Du bist so schön und dann wühlst du ständig im Dreck und schleppst diese diese wiederlichen….“

Ihr größeres Pendant setzte sie wieder vorsichtig ab und versuchte den Dreck abzuwischen doch verteilte sie ihn nur noch mehr. Schnell sprang Yasmin ins Wasser in Sicherheit um vor diesem Lärm davon zu kommen.

Schönheit, war schon immer alles was die Leute um sie herum sich an ihr interessiert hatten.  Vielleicht war das Kröte sein gar nicht so übel. Schwerelos trieb sie im Wasser und immer wieder kamen ihr die Erinnerungen wie ihre Mutter sie dafür zusammenstauchten weil sie mal wieder ihre „Guten Sachen“ eingesaut hatte. Es gab keine ‚Schlechten‘ in ihrem Elternhaus. Immer Schön, immer perfekt sein.

 

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Ein Waldrand. Zwar sagte ihr, ihr Gefühl, dass sie diese Gegend kannte. Doch der andere Blickwinkel machte es ihr schwer, die Umgebung wieder zu erkennen.

Der Boden begann zu beben. nervös duckte sie sich zwischen zwei Baumwurzeln und bemühte sich sich nicht mehr zu bewegen. Dann sah sie die beiden Gestalten auf sich zukommen. Wieder sie selbst. Diesmal etwas älter. Direkt hinter der jungen Yasmin ihr erster Schwarm.

Damals war sie noch jung und unschuldig gewesen. Hatte keinerlei erfahrungen mit Liebe, Verlangen und Lust.

„Ich will alles über dich erfahren“

Das waren seine Worte gewesen, bevor sie sich entschieden hatte ihn in ihre größte Leidenschaft einzuweihen. Ein Zucken ging durch Yasmins Körper, doch diesmal hatte die große eine andere Kröte entdeckt. „Sieh nur wie schön!“, sagte sie verzückt. Er, seinen Namen wusste sie inzwischen nicht mehr. Im Verdrängen war Yasmin schon immer ein Talent gewesen.

Suchend sah er sich um, doch konnte er nichts entdecken was seiner Meinung nach so schön sein konnte, das Yasmin es gemeint haben konnte. Dann blieb sein Blick an der Kröte hängen. „Ich zeige dir mal was.“ Damit nahm er den Bogen vom Rücken aus dem Köcher und spannte die Sehne ein. Den Pfeil legte er auf und zielte genau. Mit einem sirren hatte der Pfeil die Kröte nahe bei Yasmin durchbohrt. Kurz setzte ihr Herz aus vor Schreck.

„NEIN!“, schrie ihr jüngeres ich, „DU MONSTER! Die schönen Kröten!“ Angewiedert sah ihr Begleiter sie an. „Schön? Diese warzigen Unviecher nennst du schön? Du bist ja gestört. Ich zeige dir was schön ist.“ Damit setzte er den nächsten Pfeil an. Die Spitze zeigte direkt auf Yasmin. Vor Schreck konnte sie keinen Muskel rühren. „Ich werde sterben!“ Schoss es durch ihren Kopf. Doch das kleine Mädchen schlug ihm mit einem Stock Pfeil und Bogen aus der Hand. „HÖR AUF!“, brüllte sie aufgebracht und schlug mit dem Ast wieder und wieder auf ihn ein. Dahin waren die ganzen Gefühle die sie je für ihn gehabt hatte.

Ich will alles über dich wissen!

Eine Lüge die man sich oft erzählte. Doch eigentlich wollten die Leute nur, das man ihnen bestätigte was sie ohnehin schon über einen dachten.

Nach dieser Nacht hatte er sich nie wieder bei ihr blicken lassen. Sein gesamtes Geheucheltes Interesse war in dieser Nacht verklungen. Es hatte Yasmin gezeigt das sich niemand für sie interessierte. Keiner wollte wissen wie sie wirklich war. Niemals würde es diese Person geben, die sie akzeptierte wie sie war.

Dunkelheit umschloss sie.

 

~

 

Sie blinzelte und sah sich um. Wieder begann die Erde zu beben. Stärker als vorhin. Die beiden Teenager die sich gestritten hatten waren verschwunden. jetzt kam eine ganze Horde Kinder auf sie zugerannt. Sie hatten Stöcke und Steine in der Hand und sie wusste sie würden erst zufrieden sein wenn sie tot war. Schnell machte sie sich auf den Weg und hopste so schnell sie konnte davon. Es gab keine Versteck möglichkeit. Hin und her musste sie springen um von den geworfenen Steinen nicht getroffen zu werden. Sie war allein. Sie würde allein bleiben. Allein mit ihrem Schmerz. Allein Leiden. Allein sterben. Niemand interessierte sich mehr für sie, jetzt wo sie ‚hässlich‘ war.

Ein dunkler Schatten hüllte Yasmin ein. Eine angenehme Wärme breitete sich aus und die Schreie der Kinder die langsam leiser wurden und verebten.

Mit einem Mal war sie von einer wohlig warmen, schwarzen Schuppenhaut eingehüllt. Als sie aufsah, sah sie einen Drachen. Er erwiderte ihren Blick und lächelte, schmunzelte. „Was wollten die von dir? Warum haben sie dich gejagt, kleine Kröte?“ Obwohl die Stimme des Drachens lauter sein musste als die der Menschen, dröhnte sie nicht unangenehm. Sie tat gut. „Töten, weil ich hässlich und unnütz bin.“ Ein abfälliges Schnauben und dann wieder ein grinsen. „Dumme Menschen, haben keine Ahnung.“

„Das waren Vampire“, belehrte sie den Drachen. Doch ein Lachen ertöhnte aus seiner Kehle. „Mit dem verstand von Menschen, welchen Unterschied macht das?“

Die Worte drangen bis in ihr Herz vor und wärmten es, füllten die Leere. Im nächsten Augenblick schrumpfte die Welt zusammen, bis sie so groß war wie sie sein sollte. Ihre Vampirgestalt war zurück gekommen. Auch der Drache wandelte sich bis ihr bester Freund vor ihr stand und mit seinem typischen, frechen Grinsen ansah. Sofort fiel sie ihm in die Arme. „Black…“

 

~

 

Mit Tränengetränkten Augen blinzelte sie in Black Dragons Gesicht, welcher sich über sie gebeugt hatte. „Gut geschlafen?“, fragte er und half ihr aufzustehen. Sie war zurück auf dem Ast der Eiche.

„Du hast mich ewig warten lassen!“, warf sie ihm vor und verschränkte die Arme. Üngerührt zuckte er mit den Schultern und grinste wieder. „Ich musste noch ein bisschen was vorbereiten, hat länger gedauert als gedacht.“ Antwortete er und sprang vom Baum runter. „Komm. Jetzt müssen wir weniger lange warten. Ich will dir was zeigen.“

So führte er sie zu einer Höhle. Sie schien die halbe Nacht verschlafen zu haben. Die Höhle war eingerichtet, dass sie bequem dort den Tag verbringen konnten. Die Sonnenstrahlen würden nicht so weit vordringen. „Wirklich? Die große Überrschung ist, dass wir in einer Höhle schlafen?“

Black Dragon lachte amüsiert aber schüttelte auch den Kopf. „Nein, du wirst es wissen, wenn es dämmert was ich meine.“ Damit machten sie es sich am Höhleneingang bequem und warteten. Schon wieder.

Der sumpfige Tümpel den sie sehen konnte erinnerte sie an ihren Traum. Selbst Black Dragon hatte sie nie erzählt wie sehr sie diese Tiere liebte. Vom Sumpf wurde das Quaken einer Kröte zu ihnen herüber getragen. Dann zwei, drei, fünf, zehn? Immer mehr Stimmen fügten sich diesem Chor bei. Ein ganzes Orchester aus Krötengesang. Erstaunt blickte sie zu Black Dragon. Genießerisch hatte er die Augen geschlossen, wie immer, wenn er gute Musik hörte. „Woher…?“, begann sie doch er legte nur den Finger auf die Lippen. Glücklich vergrub sie das Gesicht in seiner Brust und konnte die Tränen  nicht zurück halten. Nachdem die Kröten verstummt waren hörte sie nur noch Black Dragon sagen: „Du hattest schon immer ein Krötengesicht!“

2 Gedanken zu “Alles nur ein Traum von A. Beauvrye

  1. Wow! Eine sehr lebendige erzählung.Ich konnte mir beim Lesen alles sehr gut vorstellen. Die Geschichte war in einem harmonischen Fluss beschrieben worden, sodass man die Bilder unweigerlich im Inneren Auge hatte!
    Weiter so…

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