29. März 2024

Ein Fluch, so ein Fluch

Es war schon fast Mitternacht, als Rex die Hütte im Wald endlich gefunden hatte und sie skeptisch musterte. Irgendwie hatte er sich das Zuhause einer Hexenkönigin imposanter vorgestellt. Das beeindruckendste daran war am ehesten noch die riesige Linde, die davor stand und, im Gegensatz zu dem sonst bereits herbstlich bunten Wald, noch immer saftiges, grünes Laub trug. Irgendetwas an dem kräftigen Baum übte eine faszinierende Anziehung auf Rex aus. Er streckte die Hand nach einem der Äste aus, zog sie jedoch schnell wieder zurück, als die Blätter sofort zu welken begannen und zu Boden fielen. Kaum, dass er den Ast nicht mehr berührte, sprießten jedoch wieder Neue. Irritiert beobachtete er das Schauspiel, bis eine Stimme ihn erschrocken zusammenzucken lies.

„Nun hört schon auf damit. Ihr verwirrt den Jungspund völlig“, sagte sie belustigt. Rex drehte sich um und sah eine Frau im Türrahmen stehen.

„Du musst sie entschuldigen, sie erlauben sich gern Späße mit Fremden“, sprach sie weiter. Rex hob die Brauen „Die Bäume?“ Sein Gegenüber lachte und auch von der Linde glaubte er ein Kichern zu hören „Die Waldgeister“, antwortete die Frau schließlich.

‚Waldgeister… natürlich…‘, dachte sich Rex. Sicher war das einfach irgendein billiger Zaubertrick. Er ging nicht weiter darauf ein, sondern besann sich wieder darauf, weshalb er eigentlich hier war. „Bist du Arsenne?“, fragte er und rechnete schon mit einem Nein. Diese Frau war viel zu jung und gutaussehend für eine Oberhexe.

„Schon möglich“, erwiderte sie jedoch und ging wieder ins Haus „Was will ein Jüngling wie du hier?“ Rex strafte sich und setzte ein überhebliches Lächeln auf „Man mag es mir nicht ansehen, aber ich bin mit über dreißig längst kein ‚Jüngling‘ mehr.“

„Hmm, wenn du das bereits als alt bezeichnen willst, hast du die Lebenserwartung eines Vampirs wohl noch nicht so recht erfasst wie mir scheint.“ Rex blinzelte überrascht, er hatte mit keinem Wort erwähnt, ein Vampir zu sein. „Woher weist…“

„Das ist nicht schwer zu erraten“, unterbrach ihn Arsenne und sah in durchdringen an „Also, was willst du hier? Einen Liebeszauber? Einen Fluch? Raus damit, ich habe nicht die ganze Nacht Zeit“, fragte sie erneut, während sie mit ein paar Behältnissen hantierte und ihn dann erneut musterte. „Vermutlich letzteres, hab ich Recht?“

„Ähm… ja“, stimmte Rex zu.  „Einen Fluch für einen anderen Vampir“, fügte er grimmig hinzu, „Er soll dafür büßen…“ Arsenne hob die Hand und bedeutete ihm damit zu Schweigen „Deine Beweggründe kümmern mich nicht. Also, was schwebt dir vor?“, erkundigte sie sich weiter und blickte dann in ein ahnungsloses Gesicht. Sie seufzte. Wieder mal so ein sich selbst überschätzender Idiot, der seine Taten vermutlich nie bis zum Schluss durchdachte. „Wie wäre es mit ewig währendem Unglück?“, schlug sie also vor, „Oder einer Allergie gegen Menschenblut?“

„Ja! Das ist gut!“, sagte Rex begeistert und grinste gehässig. Arsenne runzelte die Stirn, eigentlich diente der zweite Vorschlag mehr dem Spott. Dieses Halbblut, denn nichts anderes war er bei seinem Unwissen offensichtlich, war infantiler als sie gedacht hatte. Aber das war nicht ihr Problem. „Na schön“, stimmte sie zu und begann den Kessel anzuheizen und unterschiedliche Zutaten hinein zu werfen, während sie Irgendetwas vor sich hinmurmelte, das Rex nicht verstand. Also sah er sich neugierig in der Hütte um. Überall hingen Bündel mit getrockneten Kräutern und an den Wänden Regale voll mit kleinen und großen Fläschchen mit teilweise undefinierbarem Inhalt. Dann blieb sein Blick an einem großen Drachenschädel haften. Ob der wohl echt war? Er schüttelte den Kopf, vermutlich nicht.

„Ich brauche etwas von deinem Blut“, forderte Arsenne schließlich und lenkte seine Aufmerksamkeit damit wieder auf sich. Fragend sah Rex sie an „Wozu?“, wollte er wissen. Arsenne verkniff sich ein genervtes Stöhnen. Immerhin konnte ihr die Ahnungslosigkeit dieses Kerls nur Recht sein „Um einen Vampir verfluchen zu können, braucht es das Blut eines anderen Vampirs, sonst bleibt der Trank wirkungslos. Ganz einfach“, erklärte sie also, worauf er ihr seinen Arm reichte.

Kurz darauf hielt er ein Fläschchen mit dem Trank in der Hand und Arsenne erklärte ihm, er müsse es lediglich in einen Kelch mit Blut mischen und darauf achten, dass das Opfer diesen völlig austrinkt. Rex nickte und lächelte grimmig „Das wird ihn lehren, mich als schwächliches Halbblut zu bezeichnen“, murmelte er.

„Willst du etwa einen Reinblütigen verfluchen?“, fragte Arsenne daraufhin.

„Ich werde meinen Schöpfer verfluchen! Er hält sich für etwas Besseres, nur weil er ein geborener Vampir ist. Aber das wird ihm bald vergehen!“ Die Hexe schüttelte den Kopf. Nicht mal von der eigenen Rasse verstand er besonders viel. „Das wird nicht funktionieren, dazu ist dein Blut zu schwach“, klärte sie ihn auf. Gereizt sah Rex sie an „Ha! Du hast ebenso wenig Ahnung von meiner Stärke, Hexe!“, sagte er bestimmt und verließ die Hütte wieder.

Arsenne konnte sich einem amüsierten Grinsen nicht erwehren. So viel menschliche Naivität und Selbstüberschätzung. Sie strich das restliche Blut, welches noch an dem Messer haftete, auf einen kleinen Hämatit. Sie war sich zwar ziemlich sicher, dass das Halbblut wieder kommen würde, um ihr die Schuld an dem missglückten Fluch zu geben, aber notfalls würde sie ihn damit auch aufspüren können. Schließlich schuldete er ihr noch eine Bezahlung.

~

Er müsse mehr Geduld haben. Er müsste noch vieles lernen, wäre noch zu jung. Ärgerlich füllte Rex zwei Kelche mit Blut, Markus behandelte ihn wie ein Kind. Aber das würde er heute bereuen. Mit einem berechnenden Lächeln kippte er den Inhalt des kleinen Fläschchens in den Kelch seines Schöpfers und brachte ihn dann nach Nebenan.

„Danke, Rex.“ Markus nahm ihn entgegen und bedeute Rex mit einer einladenden Handbewegung, sich zu ihm zu setzen. „Es freut mich zu hören, dass du endlich einzusehen scheinst, dass ich es nur gut mit dir meine“, begann er, „Du musst Abstand davon nehmen, deine jetzige Stärke mit der menschlichen zu vergleichen.“ Rex nickte und wippte dabei ungeduldig mit dem Fuß. Konnte er nicht endlich trinken, anstatt große Reden zu schwingen? Schließlich hob er seinen eigenen Kelch und prostete Markus zu. Zufrieden beobachtete er, wie auch dieser daraufhin seinen nahm und trank.

Als er einige Zeit später gerade den letzten Schluck austrank, kam das zweite Halbblut, das im Haus lebte, in den Raum und reichte Markus mit besorgter Miene das leere Fläschchen. Angespannt wandte sich dieser darauf an Rex „Was hat das zu bedeuten? Wolltest du mich vergiften?“ Rex lachte. „Oh nein, verfluchen! Nun wirst du schon merken, wie stark ich bin. Jedes Mal, wenn du versuchst dich zu nähren“, erklärter er siegessicher. Markus schüttelte bedauernd den Kopf „Du enttäuscht mich, Rex. Welch sinnloses Unterfangen, dass nun dafür sorgen wird, dass du mein Haus verlassen und auf dich gestellt sein wirst.“

„Sinnlos?! Das wirst du schon sehen, wenn du das nächste Mal versuchst Menschenblut zu trinken“, führte Rex noch immer überzeugt an.

„Mein Blut ist mächtiger als deines. Zudem war ich derjenige, der dich erschaffen hat. Dieser ‚Fluch‘ ist lächerlich“, erläuterte Markus ruhig, nahm den fast vollen Kelch von Rex und lehrte ihn in einem Zug. Nichts geschah. Entsetzt sah Rex ihn an, diese Hexe hatte ihn betrogen!

„Begleite ihn bitte hinaus. Er ist in diesem Haus nicht mehr erwünscht“, wies Markus das zweite Halbblut an und wandte sich dann ab.

~

Rex hatte den Tag im Keller eines leerstehenden Fabrikgebäudes verbracht. Kaum, dass die Sonne untergegangen war machte er sich wütend auf den Weg zu Arsenne. Das würde diese Hexe büßen! An der Hütte angekommen, hörte er eine tiefe Männerstimme. Scheinbar hatte sie einen Gast, doch das kümmerte Rex wenig. Wer auch immer das war sollte sich besser raushalten, oder würde ebenfalls dran glauben müssen. Ein Kichern erklang aus Richtung der Linde, als er zornig auf die Tür zustürmte und sie aufstieß. „Du falsche Schlange hast mich betrogen!“, knurrte er. Unbeeindruckt wandte sich Arsenne zu ihm um „Das ging schneller als ich dachte“, merkte sie trocken an und richtete sich dann wieder an den hochgewachsenen Mann neben sich „Nun kannst du dir die Ware gleich selbst ansehen.“ Es dauerte einen Moment, bis Rex die Erkenntnis erreichte, dass er wohl diese ‚Ware‘ sein sollte. Seine Augen verdunkelten sich. Voller Wut zog er ein Messer und stürzte auf die Hexe zu. Der Fremde machte lediglich einen gemächlichen Schritt zurück, während Arsenne sich nicht von der Stelle rührte. Und doch ging Rex´ Angriff ins Leere. Überrumpelt stolperte er noch zwei Schritte weiter und drehte sich um. Die Hexe stand noch immer am selben Fleck, völlig unversehrt. Während Rex noch perplex zwischen ihr und seinem Messer hin und her sah, verschränkte der fremde Mann die Arme vor der Brust „Ich muss zugeben, das war eben recht amüsant. Trotz allem verabscheue ich es geradezu, mit Trugbildern zu sprechen, Arsenne.“ Im nächsten Moment verschwand Arsenne, und trat kurz darauf lachend aus einem Nebenraum, der Rex bisher nicht aufgefallen war. „Wenn dieser Tölpel nicht aufgetaucht wäre, hättest du es vermutlich nicht einmal bemerkt“, stellte sie belustigt fest und deutete dann mit einem Nicken auf Rex. „Also, was sagst du?“ Erst, als der Fremde nach seinem Messer griff und ihn begutachtete wie ein Stück Vieh, ging ein Ruck durch Rex und er löste sich aus seiner Starre „Fass mich nicht an, Arschloch!“, keifte er und versuchte sich aus dem Griff zu lösen. Verdammt, der Kerl war stärker als er aussah. Seiner Gegenwehr schenkte er ebenso wenig Beachtung, wie der Beschimpfung, sondern richtete das Wort wieder an Arsenne „Dieses aufmüpfige Verhalten bedeutet eine Menge Arbeit. Mehr als eine Ampulle ist dafür nicht drin.“

„Zwei!“, hielt Arsenne dagegen. Der Mann musterte Rex nochmals und schüttelte dann den Kopf. „Eine, oder du musst dir einen anderen Käufer suchen.“ Die Hexe schien nicht wirklich zufrieden, schlug aber schließlich ein. Ungläubig hatte Rex das ganze Szenario beobachtet „Ha! Ich gehöre dir nicht! Bildest du dir wirklich ein, du könntest mich einfach so verkaufen wie einen billigen Sklaven?“, begehrte er auf.

„Nun, du schuldest mir noch was. Oder dachtest du meine Dienste sind umsonst? Mit deinem Blut kann ich nichts anfangen, also muss eine andere Lösung her“, erklärte Arsenne und sah ihn dann schulterzuckend an „Sieh es als Bonus, so hast du wenigstens ein Dach über dem Kopf. Ich wage immerhin zu bezweifeln, dass dein Schöpfer dich nochmal aufnehmen würde.“ Noch ehe Rex weiter protestieren konnte, hatte der Mann ihm schon einen breiten Metallring um den Hals gelegt, an dem eine Kette befestigt war. Wütend zerrte er daran, als ob ihn das bisschen Metall aufhalten könnte. Allerdings stoppte er den Versuch sofort wieder, als sich ein paar Dornen in seinen Nacken bohrten. Sein neuer Besitzer seufzte „Viel arbeit…“, murmelte er vor sich hin, dann schnitt er sich in die Hand und lies etwas von seinem Blut in ein kleines Fläschchen tropfen, welches Arsenne ihm hinhielt und gleich darauf sorgfältig verschloss. „Ist mir immer wieder eine Freude mit dir Geschäfte zu machen.“ Der Unbekannte winkte ab und zog an der Kette „Beweg dich! Wollen wir mal sehen, wozu du zu gebrauchen bist.“

Rex konnte noch gar nicht richtig fassen, was da gerade passiert war und folgte dem Mann nur widerwillig. Allerdings hatte er nicht vor, einen Sklaven zu mimen. Er würde die erste Gelegenheit nutzen und sich aus dem Staub machen.

Sie waren eine ganze Zeit unterwegs und es war bereits kurz vor Sonnenaufgang, als sie an einem großen Anwesen ankamen. Sofort kamen ihnen zwei weitere Gewandelte entgegen. Auch sie trugen diese metallenen Halsbänder, jedoch ohne Ketten. Die seine wurde einem der Beiden in die Hand gedrückt „Zeig ihm einen Schlafplatz und Morgennacht soll er in den Kellern helfen. Ich will sehen was er kann.“ Das Halbblut nickte und zog Rex hinter sich her. Jeglicher Versuch, den anderen davon zu überzeugen ihn frei zu lassen und mit ihm zu fliehen scheiterten. Er beachtete überhaupt nicht, was Rex sagte. Erst, als er ihm eine kleine schmutzige Kammer zugewiesen hatte und bereits in der Tür stand, wandte er das Wort doch noch an Rex „Wenn ich dir einen Rat geben darf, tu einfach was unser Herr von dir verlangt. Das wird es dir leichter machen.“ Dann fiel die Tür ins Schloss. Rex schnaubte verächtlich. Das würde er sicher nicht tun.

~

Die Arbeiten wurden Stunde um Stunde anstrengender. Anfangs hatte er die schweren Fässer noch mit Leichtigkeit hin und her geschleppt und den gut gemeinten Rat eines Anderen, sich seine Kräfte einzuteilen, mit einem Schmunzeln abgetan. Jetzt begann er das zu bereuen. Immer wieder wanderte sein Blick zu den Aufsehern, die an den Türen standen, wartete auf eine Chance, flüchten zu können. Schließlich ergab sich diese Gelegenheit, als in einer Ecke ein Streit losbrach, der dafür sorgte, dass eine der Türen kurz unbewacht blieb. Rex stürmte los. Er hörte die Wachen, die ihm nachjagten, verzichtete aber darauf sich umzudrehen, um deren Entfernung abzuschätzen. Der Gang kreuzte sich. Wahllos rannte er in eine Richtung. Einen Moment später endete seine Flucht, als der Hausherr unvermittelt vor ihm stand. Auch seine Verfolger schlossen schnell auf, und murmelten sofort Entschuldigungen, weil er ihnen entwischt war. Was für Schwächlinge.

„Dachte ich mir doch, dass du mir Schwierigkeiten machen würdest“, sagte der Hausherr kühl und wandte sich dann an die Aufseher „Bringt ihn in den Sonnenturm“, sein Blick fiel mit einem arroganten Lächeln wieder auf Rex „Wollen wir doch mal sehen, ob wir dich nicht etwas Gehorsam lehren können.“

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Rex kauerte in einer Ecke des engen Raumes. Es war nun schon der dritte Tag, an dem er hier eingesperrt war. Warum man es ‚Sonnenturm‘ nannte, war schnell klar geworden. Durch etliche, kleine Öffnungen in der Mauer, fiel immer gerade so viel Sonnenlicht, dass es ihm kleine Verbrennungen zufügte, aber nie genug, dass es ihn hätte töten können, und bei Gott, dass wäre im Moment wirklich eine Alternative, die er in Erwägung ziehen würde. Die Verbrennungen heilten zunehmend schlechter und er hatte Durst. Schrecklichen Durst.  Er hätte niemals geglaubt, dass dieser so quälend werden konnte, dass es sogar schmerzte.

Endlich ging zumindest die Sonne unter. Kurze Zeit später hörte er das knarren vom Türschloss. Einer der Sklaven öffnete die Tür und trat dann beiseite um seinen Herrn vorbei zu lassen. Die Hände hinterm Rücken verschränkt musterte dieser Rex „Nun, gedenkst du heute wieder zu flüchten?“, fragte er. Rex schüttelte nur den Kopf und sah zu Boden. Noch nie hatte er sich so schwach gefühlt. Nicht einmal als Mensch.

„Wunderbar. Gebt ihm etwas zu trinken und dann an die Arbeit.“

Das Halbblut stützte Rex und führte ihn über den Hof. „Ich habe dich gewarnt“, flüsterte er ihm verständnisvoll zu, aber nur am Rande bekam Rex es mit. Sein Blick viel zurück zu dem schrecklichen Turm und plötzlich erschien ihm sein altes Menschenleben, dass ihn so sehr gelangweilt hatte, wieder sehr erstrebenswert. Am Himmel verglühte eine Sternschnuppe. Mehr unbewusst wünschte er sich, er hätte besser auf Markus gehört.

F.Drewes

Kreativ-chaotisch und manchmal ein bisschen (Schreib)verrückt. Mehr von F.Drewes gibt es Hier

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2 Gedanken zu “Ein Fluch, so ein Fluch

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