25. April 2024

Reinigung der Sinne von F. Drewes

Es war Punkt fünfzehn Uhr, als es an der Tür klingelte und Fraukes Schwester kurz darauf die Wohnung betrat.

„Lara wartet schon sehnsüchtig auf dich. Danke, dass du auf sie aufpasst.“ Jacky winkte ab „Kein Problem, mach ich doch gerne“, erwiderte sie und wandte sich dann dem kleinen Mädchen zu „Was meinst du, gehen wir auf den Spielplatz und amüsieren uns, während deine Mama langweilige Erledigungen macht?“

„Jaaa! Und dann Eis essen!?“ Jacky legte einen Finger auf die Lippen und zwinkerte Lara zu, welche sich darauf kichernd die Hände vor den Mund hielt. Lächelnd schüttelte Frauke den Kopf und gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn „Dann mal viel Spaß ihr Beiden, bis später“, verabschiedete sie sich und machte sich auf den Weg in die Stadt.

Nachdem sie alles schneller als geplant erledigt hatte, entschied sich Frauke noch einen kleinen Abstecher zu dem Esoterikgeschäft zu machen, das ihr kürzlich eine Kundin empfohlen hatte. Allerdings gestaltete sich die Suche danach weitaus schwieriger als angenommen. In dem Stadtteil wo der Laden angeblich sein sollte, kannte sie sich nicht wirklich aus und Schilder mit Straßennamen hielt man hier offenbar für überflüssig. Inzwischen wurde es bereits dunkel und zunehmend kälter. Frauke zog den Reißverschluss ihrer Jacke weiter zu und beschloss aufzugeben und ein anderes Mal wieder zu kommen. Gerade als sie zurück zum Auto gehen wollte, sah sie ein Paar in ihre Richtung kommen. Der Mann sah aus, als wäre er in einem anderen Jahrtausend hängen geblieben, mit dem dunklen Gehrock den er trug und auch die Frau an seiner Seite schien den letzten Modetrend verpasst zu haben. ‚Vielleicht kennen die ja diesen Laden‘, dachte sich Frauke und steuerte zielstrebig auf die Beiden zu. Menschen aus der schwarzen Szene, in welcher sie das Paar vermutete, waren ihrer Erfahrung nach meistens recht offen für so etwas. Vielleicht konnte sie auch gleich neue Kunden anwerben „Entschuldigen sie bitte die Störung, können sie mir vielleicht sagen, wo ich hier ein Esoterikgeschäft finde?“

„Bedauerlicherweise, nein“, antwortete der Mann höflich, während die Frau sie nur skeptisch musterte, aber davon lies Frauke sich nicht beirren „Schade, man sagte mir hier in der Nähe wäre eines zu finden. Tut mir Leid, wenn ich sie belästigt haben sollte, aber ihrer Ausstrahlung machte den Eindruck auf mich, dass sie sich für solche Dinge begeistern können“, entschuldigte sie sich betont freundlich und stellte zufrieden fest, wie das Lächeln des Mannes breiter wurde „So? Das erkennen sie also an meiner Ausstrahlung?“, fragte er interessiert.

„Aber ja. Sie haben eine sehr starke Aura“, bestätigte Frauke und blickte zu der Frau, „Sie beide übrigens. Sie mussten schon häufig kämpfen in ihrem Leben, hab ich nicht recht?“ Ihr Gegenüber hob die Brauen und sah sie an, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf. Aber auch das war Frauke gewohnt und mehr als nur einmal hatte sie auch solche Skeptiker davon überzeugt sich, gegen einen kleinen Obolus, von ihr helfen zu lassen. Gerade als sie zu einem weiteren Argument ansetzte begann der Mann zu lachen „Sparen sie sich ihre Mühen, junge Frau. Meiner Begleitung fehlt es am Glauben, um sich für derartige Dinge zu begeistern“, erklärte er. Himmel, der Kerl sah nicht nur so aus, er drückte sich auch so aus als käme er aus einem anderen Jahrtausend, stellte Frauke für sich fest.

„Sagen sie, was suchen sie denn in einem Esoterikgeschäft?“, fragte er schließlich.

„Oh, ich brauche Drachenblut zum Räuchern.“

„Was für ein Zeug?“, warf die Begleitung des Mannes ein, worauf er sich ihr zuwandte „So nennt man das Harz des Drachenbaumes, meine Liebe“, erläuterte er knapp und sah dann wieder zu Frauke, „Für ein Reinigungsritual nehme ich an?“

„Richtig. Sie kennen sich aus wie ich sehe.“ Er zuckte leicht mit den Schultern „Zu meinem Bedauern kann ich ihnen hier kein Geschäft nennen, wo sie die Zutaten erstehen könnten, aber wenn sie mir etwas zu schreiben hätten könnte ich ihnen eine sehr effektive Mischung für eine energetische Reinigung notieren“, bot er an worauf die Frau neben ihm mit den Augen rollte „Wir haben noch zu tun, Amon!“, mahnte sie an, aber der Mann winkte ab und nahm Papier und Stift entgegen, das Frauke ihm reichte „Nur die Ruhe, wir haben noch ausreichend Zeit, meine liebe Toska.“ Frauke stockte kurz, als er ihr schließlich die Sachen zurückgab und sie ihm in die Augen sah. Hatte er eben schon diese schlangenartigen Pupillen? Sie schüttelte die Verwunderung ab, sicherlich nur irgendwelche komischen Kontaktlinsen „Danke, ich werde es bei Gelegenheit testen. Entschuldigen sie, wenn ich ihnen ihre Zeit gestohlen habe. Ich wünsche noch einen schönen Abend“, verabschiedete sie sich schließlich.

~

Sobald Frauke außer Hörweite war, verschränkte Toska die Arme vor der Brust „Deiner Begleitung fehlt es am Glauben für derartige Dinge?“, fragte sie und sah Amon durchdringend an.

„Natürlich. Oder glaubst du wahrhaftig, ein einfaches Sonnenkind könnte ausgerechnet deine Aura lesen?“, erwiderte dieser. Toska schmunzelte „Nein, sicher nicht. Aber sag mal, was genau ‚reinigt‘ das arme Ding denn mit deiner Mischung?“

„Nun, wenn sie nur ansatzweise so viel Ahnung hat, wie sie glaubt und vorgibt, verbrennt sie höchstens das Blatt Papier.“

„Das junge Ding hat sicherlich keinen Schimmer von Hexenwerk, also?“, bohrte sie weiter nach.

„In diesem Fall wird es wohl eine wahrhaft unvergessliche Reinigung der Sinne für alle Beteiligten.“ Amüsiert musterte Toska das berechnende Grinsen von Amon und schüttelte den Kopf „Alter Giftmischer.“

~

Als Frauke etwas später wieder Zuhause ankam, wurde sie bereits an der Tür von Jacky in Empfang genommen „Hey Schwesterchen. Na, hast du alles erledigt bekommen was du wolltest?“ Skeptisch musterte Frauke ihre Schwester, als diese sie in die Küche schob und ihr eine Tasse Kaffee einschenkte „Okay, raus damit. Was habt ihr wieder ausgehekt?“ Gerade als Jacky antworten wollte, kam Lara freudig in den Raum gehüpft und zog am Arm ihrer Mutter „Mami, komm schnell mit!“, sagte sie begeistert und eilte in Richtung Kinderzimmer, „Stell dir vor, der fiese Kater von nebenan wollte eine Maus fangen, aber Tante Jacky und ich haben sie gerettet!“, erzählte sie stolz. Frauke schielte zu ihrer Schwester, welche aber nur schmunzelnd mit den Schultern zuckte.

„Guck Mama, ist die nicht süß? Darf ich sie behalten? Biiiite!“, bettelte Lara und deutete auf den kleinen, provisorisch eingerichteten, Käfig indem eine Feldmaus sich in eine Ecke zwängte. Frauke seufzte. Eigentlich müsste sie sich langsam daran gewöhnt haben. Immerhin hatten die Beiden allein im letzten halben Jahr schon einen verletzten Spatz, eine Kröte und einen kleinen Igel gerettet. „Ich weiß nicht, die Maus fühlt sich in Freiheit sicher wohler.“ Entsetzt sah das kleine Mädchen sie an „Aber dann frisst sie der gemeine Kater!“, protestierte sie.

„Na schön, ich mach dir einen Vorschlag. Du darfst sie bis zum Wochenende behalten und dann lassen wir sie irgendwo frei wo sie der Kater nicht erwischen kann. Einverstanden?“ Nach kurzer Überlegung nickte das Mädchen zustimmend.

Nachdem Lara eingeschlafen war, setzten sich die Schwestern ins Wohnzimmer und Frauke startete ihren Laptop.

„Was machst du denn jetzt noch?“, erkundigte sich Jacky.

„Dauert nicht lange, ich muss nur noch ein paar Sachen bestellen. Diesen Esoterikladen hab ich nicht gefunden, wahrscheinlich gibt´s den gar nicht“ stellte Frauke etwas ärgerlich fest.

„Welchem armen Schwein willst du mit deinem Exorzismus-Quatsch den diesmal das Geld aus der Tasche ziehen?“, fragte ihre Schwester mit tadelndem Unterton.

„Das ist kein ‚Exorzismus-Quatsch‘, sondern nur eine energetische Reinigung eines Hauses“, stellte Frauke richtig.

„Tzz… Du nebelst ihnen für viel Geld die Hütte zu, sonst nichts. Glaub mir, irgendwann handelst du dir mit diesem Betrug mal Ärger ein!“

„Ach was. Ich brauche das Geld eben, der kleine Halbtagsjob reicht einfach nicht. Und meine Kunden fühlen sich hinterher wohler. Also was solls.“ Jacky schüttelte verständnislos den Kopf, lies es dann aber auf sich beruhen.

~

Eine Woche später ging Frauke zu einem jungen Paar, das gerade zusammen gezogen war und ihr neues Heim nun von eventuellen, wie sie es nannten, ‚Altlasten‘ befreien lassen wollte. Nachdem sie nochmal alles besprochen hatten und das Paar seine Wünsche geäußert hatte, ließen sie Frauke allein.

„Dann wollen wir mal.“ Sie zündete die Kohlen an und bereitete die Räuchermischung vor, die der Fremde ihr empfohlen hatte und die schon jetzt einen sehr angenehmen Duft verbreitete. Das würde ihren Kunden sicher gefallen. Während sie darauf wartete, dass die Kohle die richtige Temperatur hatte, sah sie sich nochmal im Raum um. Die Einrichtung war schlicht und modern gehalten, wenn man von den zwei Bögen absah, die an der Wand hingen. Traditionelle Langbögen, wie die beiden begeisterten Sportschützen ihr zuvor erklärt hatten. Schließlich begann sie damit, nach und nach die Räume abzugehen und genoss dabei selbst das angenehme Aroma des Nebels um sie herum. Als sie ein weiteres Zimmer betrat, fiel ihr überrascht die auffällige Wald-Fototapete auf. Wie konnte sie die vorher übersehen? Außerdem hatte sie schwören können, dass gerade etwas an ihren Beinen vorbeigestrichen war. Dabei hatte sie extra noch gesagt, dass eventuelle Haustiere während der Reinigung aus dem Haus sollten. Mit einem Seufzen drehte sie sich wieder zur Tür. Zumindest wollte sie das, blickte aber stattdessen wieder auf die Fototapete. Eine verflucht realistische Tapete! Was zur Hölle sollte das? Sie hätte schwöre können, dass hier eben noch die Tür war. Irritiert drehte sie sich nochmals um und trat schließlich erleichtert doch aus dem Zimmer. Das war wirklich seltsam. Wieder fühlte sie etwas um ihre Beine streichen, konnte aber nichts entdecken. Als direkt darauf etwas dicht an ihrem Gesicht vorbei flog, ließ sie vor Schreck die Räucherschale fallen. Sie eilte zurück ins Wohnzimmer. Auch hier war plötzlich so eine Tapete. Nein, Moment. Das waren Pflanzen, echte, große Pflanzen.

„Was ist denn los? Wir haben dich schreien hören.“ Vor Frauke stand ihre Auftraggeberin und sah sie besorgt an.

„Ich habe nicht geschrien! Aber wie habt ihr so schnell die ganzen Pflanzen hier rein gebracht? Und eure Katze, oder was auch immer, habt ihr auch hier gelassen!“

„Pflanzen? Katze? Geht´s dir auch wirklich gut?“, fragte die Frau weiter, aber ihre Stimme klang seltsam verzerrt.

„Was ist denn hier los?“, mischte sich nun auch der Mann ein. Je näher er kam, umso größer schien er zu werden. In der Hand hielt er einen der Bögen. Frauke stolperte rückwärts zurück in den Flur „Nein! Lass mich in Ruhe!“, keifte sie.

„Frauke… Wo willst du denn hin, Frauke?“

„Hau ab! Lass mich zufrieden du Monster!“, rief Frauke panisch, dann fiel sie über ihre Räucherschale und fiel hinten über. Ein pochender Schmerz durchfuhr sie, als ihr Kopf gegen den Türrahmen stieß und dann musste sie hilflos mitansehen, wie der riesige Kerl langsam auf sie zu kam und mit dem Bogen auf sie zielte.

„Frauke?… Was ist los mit dir?… Frauke?“ Die Stimmen wurden leiser, bis sie schließlich gar nichts mehr hörte. Alles um sie herum wurde dunkel. War sie tot? Immer wieder rief sie, hoffte auf eine Antwort die sie aber nicht bekam.

Sie hatte keine Ahnung wie viel Zeit vergangen war, als sie schließlich die Augen öffnete und in das besorgte Gesicht ihrer Schwester blickte „Jacky? Wo bin ich hier?“, fragte sie und sah sich orientierungslos um.

„Du bist im Krankenhaus. Deine letzten ‚Kunden‘ haben dich herbringen lassen, nachdem du ihr ganzes Haus zusammengeschrien hast“, erklärte Jacky ruhig.

„Aber… der Kerl hat mit einem Bogen auf mich gezielt!“, verteidigte sich Frauke. Ihre Schwester schüttelte den Kopf „Du hast auch behauptet, das Haus wäre voller riesiger Pflanzen. Was zur Hölle hast du da verbrannt?“ Nachdenklich schwieg Frauke. Hatte sie sich das wirklich alles nur eingebildet? Ihr Kopf dröhnte auf jeden Fall, als hätte ihr jemand mit einem Backstein eins übergebraten.

„Glaubst du mir jetzt, dass dir das ganze irgendwann Probleme machen wird?“, fragte Jacky und strich ihrer Schwester sanft über den Kopf. Frauke nickte nur „Wo ist Lara?“

„Mach dir keine Sorgen, ich passe schon auf sie auf bis du wieder fit bist. Schlaf dich erstmal aus, ich komme Morgen wieder“, verabschiedete sich Jacky.

Erschöpft ließ Frauke sich in die Kissen sinken. Kaum hatte sie die Augen geschlossen, glaubte sie das Lachen des Fremden zu hören.

F.Drewes

Kreativ-chaotisch und manchmal ein bisschen (Schreib)verrückt. Mehr von F.Drewes gibt es Hier

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