26. April 2024

#Protastik Protas auf Abwegen 24.02.2022

Jeden Sonntag veröffentlichen Anke BeckerLucas Snowhite und Christina Marie Huhn eine neue Aufgabe für ihre #Protastik-Challenge. Am darauffolgenden Donnerstag werden dann die Geschichten dazu gepostet. 

Deine konservativste Figur wacht am Aschermittwoch (oder ähnlichem) bei sich zu Hause neben einer wildfremden nackten Person auf. Was passiert?

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Angenehme Wärme durchströmte Mechthild, als sie spürte, wie ihr Mann sich an ihren Rücken schmiegte. Wie sehr sie dieses Gefühl in den letzten Jahrhunderten doch vermisst hatte. Wie sehr…
Sie öffnete die Augen und registrierte nur langsam, dass sie lediglich geträumt hatte. Schlaftrunken blinzelte sie und wollte sich auf den Rücken drehen, traf jedoch auf Widerstand.
Dann fiel schlagartig jegliche Müdigkeit von ihr ab. Es war kein Traum. Zumindest nicht gänzlich. Hitze stieg in ihre Wangen.  Langsam wandte sich die Gewandelte um, betrachtete das Gesicht des Mannes der, noch schlafend, neben ihr im Bett lag und kramte nach der Erinnerung wie es zu dieser Szenerie hier gekommen war.

~  10 Stunden zuvor ~
Mechthild hörte aus dem Wohnzimmer einen genervten Laut ihres Schützlings Balduin. „Ich geh nicht mit euch in den Schlachthof. Nicht bei dieser Musik!“, protestierte er.
Mechthild stand im Türrahmen und stemmte die Hände in die Hüften. „Na na junger Mann. Stell dich nicht so an und tu den Kindern den Gefallen. So schlimm ist es nicht“, forderte sie.
Nana und ihre Gewandeltenfreundinnen standen um Balduin herum und alle sahen jetzt alle in ihre Richtung. Mechthild wusste, dass heute die ‚Nacht der Gewandelten‘ stattfand, sich die jungen Frauen bisher jedoch nicht allein dorthin wagten.
„Bitte, da habt ihr eure Begleitung!“, verkündete Balduin mit einem spitzbübischen Grinsen und schob sich an Mechthild vorbei aus der Tür. Kopfschüttelnd sah sie ihm nach, ehe sie sich an die Frauen wandte. „Nun gut, dann begleite ich euch“, stimmte sie zu, worauf Nana sie kurz dankbar umarmte, um sich dann mit ihren Freundinnen zurückzuziehen, um sich zurecht zu machen. Mechthild packte ihre Tasche und wartete geduldig, bis die Mädchen fertig waren.

Der Schlachthof war für Mechthilds Geschmack viel zu voll und schnell zog sie sich an eine leere Sitzecke oben auf der Galerie zurück. Dort war es deutlich angenehmer. Man konnte den Saal überblicken und die Musik war nicht so penetrant laut. Sie spürte die Blicke und das Getuschel um sich herum. Doch sie kümmerte sich nicht um Geschwätz. Stattdessen griff sie in ihre Tasche und holte ihr aktuelles Strickprojekt hervor, um emsig daran weiterzuarbeiten, solange die Jungspunde sich amüsierten.
„Verzeihung, ist hier noch frei?“, fragte ein Mann der, allem Anschein nach, ebenso wie sie, erst in seinen späteren menschlichen Tagen gewandelt worden war.
„Bitte, hier ist noch einiges frei, wie Sie sehen“, erwiderte sie und deutete einladend auf die freien Sessel. Mit dankbarem Nicken ließ er sich nieder und öffnete ein Buch in dem er still zu lesen begann. Es verging wohl etwa eine Stunde, in der sie sich gegenübersaßen und man neben den Hintergrundgeräuschen nur das Klicken von Mechthilds Stricknadeln und das gelegentliche Rascheln von Papier vernahm. Erst, als der Klang der umschlagenden Seite ausblieb, hob Mechthild den Kopf. Der Mann hatte mit einem verklärten Ausdruck auf dem Gesicht sein Buch gesenkt.
„Zu einer früheren Version dieses Liedes habe ich den letzten Tanz mit meiner Frau getanzt, bevor ich sie verlor“, murmelte er nach einem kurzen Seufzer.
Mechthild horchte genauer hin. Es lief eine eigentümliche Interpretation eines sehr alten Klassikers. Sie musterte den Mann genauer. Er war geschmackvoll gekleidet: Schlichtes Hemd, Bügelfaltenhose und dazu eine passende einfache Weste. Sein dunkelblondes vielleicht auch schon hellbraunes Haar war kurz geschnitten und an den Seiten schon leicht angegraut. Als sich ihre Blicke trafen konzentrierte Mechthild sich rasch wieder auf die Socke, die sie mit schnellen Maschenschlägen wachsen ließ. Dabei hatte sie das Gefühl, immer wieder von ihrem Gegenüber angesehen zu werden. Dacht er darüber nach, sie zum Tanz aufzufordern?
Unfug! Das ist reine Einbildung!, schalt Mechthild sich im Stillen selbst.
Ein erneutes Seufzen erklang, als das nächste Lied anspielte und seine Chance in der Erinnerung zu schwelgen vorüber war. Als sie den Blick wieder hob, hatte er sich wieder seinem Buch zugewandt, doch er schien nicht zu lesen. Zumindest starrte er lange auf die offenen Seiten, ohne umzublättern.
„Wie hieß Ihre Frau denn?“, wagte sie schließlich zu fragen.
So in Gang gebracht, entwickelte sich schnell ein angenehmes Gespräch.
Während sie und Theodor, so hieß ihr Gesprächspartner, sich über ihrer beider Familien unterhielten, leerte sich die Galerie zusehends, da sich immer mehr auf der Tanzfläche versammelten.
Die Musik wiederholte sich, denn bald hörte Mechthild die ersten Klänge, jenes Liedes, das sie überhaupt dazu gebracht hatte, ihr Gespräch aufzunehmen. Wieder lag dieser nachdenkliche Ausdruck auf Theodors Gesicht. Sie nahm ihm die Entscheidung ab und legte ihre Hand in seine. Mit einem gerührten Lächeln führte er sie zu einem Tanz in die Mitte der Galerie.
Das Lied klang aus und ein längst vergessen geglaubtes Kribbeln machte sich in Mechthilds Magen breit. Verlegen lächelte sie, doch ehe einer von ihnen etwas sagen konnte, hörten sie den Ruf einer Gewandelten. „Theo, ich gehe mit Rocko mit.“ Dabei deutete sie auf einen Punk neben sich, welcher sie und Theodor nur kritisch musterte und die junge Frau dann mit sich zog.
Mechthilds Gegenüber schnaufte nur und schüttelte kurz verständnislos den Kopf. „Nun, wie es aussieht habe ich keine Verpflichtungen mehr. Dürfte ich Sie dafür nach Hause geleiten?“, fragte er dann.
Mechthild nickte, ehe sie überhaupt darüber nachgedacht hatte. Dann hielt sie Ausschau nach ihren Schützlingen. Diese hatten inzwischen offenbar auch die Nase voll und deuteten in Richtung Ausgang.

~Gegenwart~
Richtig. Er hatte sie nach Hause begleitet und sie hatten sich weiter unterhalten, bis es für ihn zu spät war, um sicher nach Hause gehen zu können. Also hatte sie ihn zum Bleiben eingeladen. Draußen auf dem Flur hörte sie die anderen Gewandelten, die zu ihren Aufgaben eilten. War es bereits so spät? Für Gewöhnlich war sie lange vor ihnen wach.
Auch in Theodor kam langsam Bewegung. „Guten Abend“, murmelte er verschlafen und richtete sich langsam auf. Unsicher musterte sie ihren Übernachtungsgast. Was sollte sie jetzt tun? Unter normalen Umständen hätte sie nie zugelassen, dass er sie hierher begleitete. Wie eine Teenagerin hatte sie sich dem guten Gefühl hingegeben, welches er in ihr ausgelöst hatte. Balduin konnte Fremde in seinem Haus nicht ausstehen und das Herrenhaus war nun einmal genau das: Seines. Sie lebte lediglich hier und kümmerte sich um sein Wohlergehen und das seiner Schwester. Wie sie es immer getan hatte.
„Ich sollte wohl gehen“, stellte Theodor fest, der ihre Unsicherheit scheinbar bemerkte und lächelte ein wenig traurig
„Es tut mir leid“, murmelte Mechthild beschämt, nickte jedoch zur Bestätigung. Sie zogen sich an, Mechthild band ihre Haare zu einem lockeren Dutt und begleitete ihren Gast zur Tür. Zumindest war das der Plan. Doch mitten im Flur blieb Theodor stocksteif stehen. Mechthild sah an ihm vorbei. Dort standen Balduin und Damian. Ihr Gespräch hatten sie offenbar unterbrochen und ihren unfreiwilligen Hausgast entdeckt. Der Gewandelte verbeugte sich tief vor Damian und entschuldigte sich mehrfach für die Störung, während Mechthild ihn in Richtung Ausgang dirigierte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Warum hatten die Beiden nicht wie sonst auch noch ein, zwei Stunden im Bett faulenzen können?‘
Mit einem charmanten Handkuss verabschiedete sich Theodor und ließ die Gewandelte ganz durcheinander zurück.
„Mechthild?“ Natürlich konnte der Bengel das Ganze nicht unkommentiert lassen. Doch sie hatte kein Interesse daran sich von dem Jüngelchen aufziehen zu lassen, also wandte sie sich von ihm ab um sich an ihre Aufgaben zu machen.
„Nicht so schnell Fräulein!“ Balduin packte sie am Arm und sie seufzte. Wieder einmal ahmte er ihren eignen tadelnden Tonfall nach, den sie bei ihm in jungen Jahren so oft benötigte und dem es auch heute noch oft genug bedarf.
„Wer war das?“, hakte er nach und sie musste ihm nicht einmal ins Gesicht sehen, um zu wissen, dass er bis über beide Ohren grinste.
„Er wird nicht wieder kommen“, verkündete sie steif und sah ihn fest an.
„Ach ja?“, fragte er überrascht und sämtlicher Schalk wich aus seinem Blick. „Warum?“
„Ich weiß, dass du nicht gerne Fremde im Haus hast.“
„Seit wann interessiert dich, was ich dazu sage, was in diesem Haus passieren soll?“, fragte er und sah aus dem Fenster. Hinter ihm erschien Damian und tat es ihm gleich. Die Männer tauschten ein kurzes Lächeln, dann wandte sich Damian an Mechthild. „Nun da du Balduin vergangene Nacht abgenommen hast, die Gewandelten zu begleiten, nimm dir heute als Dank doch einige Stunden frei“, verkündete er höflich und doch klang es nicht wie eine Bitte.
Noch ehe sie ein Veto einlegen konnte, verschwand das Paar Wohnzimmer. Höchst irritiert sah Mechthild ihnen nach. Frei nehmen? Sie hatte sich seit Jahrzehnten nicht ‚frei genommen‘. Wozu auch? Dann warf auch sie einen Blick aus dem Fenster. Auffällig langsam entfernte sich Theodor vom Anwesen. Nach einigen Schritten blickte er nochmals zurück, sah sie am Fenster stehen und hob kurz die Hand, begleitet von einem leichten nicken, dann setzte er sich wieder, sehr langsam, in Bewegung. Ein Lächeln schlich sich auf Mechthilds Lippen. Eine paar Stunden würde dieser Chaotische Haufen hier schon ohne sie zurechtkommen.

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