Jeden Sonntag veröffentlichen Anke Becker, Lucas Snowhite und Christina Marie Huhn eine neue Aufgabe für ihre #Protastik-Challenge. Am darauffolgenden Donnerstag werden dann die Geschichten dazu gepostet.
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Auf dieser Versammlung gab es so viele Abtrünnige, dass es mich schon beinahe an ein Clantreffen erinnerte. Was für eine Vorstellung, wenn diese sich dauerhaft derart zusammenrotten würden. Die Streitereien, die aus verschiedenen Ecken zu hören waren, ließen jedoch die vage Hoffnung bestehen, dass dies niemals Wirklichkeit werden würde. Zudem war es heute genau diese Masse, die mir dabei geholfen hatte, mich einzuschmuggeln. Dennoch hatte ich, seit ich die Räumlichkeiten betreten hatte, das Gefühl, als würde ein Paar Augen auf mir ruhen. Sie nicht zu entdecken, beruhigte mich seltsamerweise überhaupt nicht. Ansonsten nahm kaum jemand große Notiz von mir. Für Gewöhnlich war ich nicht so paranoid, aber heute kämpfte ich ständig gegen den Drang, so schnell wie möglich hier weg zu kommen.
Da ich mir natürlich keine Notizen machen konnte, merkte ich mir so viele Informationen über die Anwesenden wie ich konnte. Dabei vermied ich es selbst Antworten zu geben, wo ich nur konnte. Ein gelungener Abend, welcher sich nun endlich dem Ende neigte. Zeit von hier zu verschwinden.
„Du willst uns schon verlassen?“, fragte eine monotone Stimme, zu der ich mich nicht umwandte. Ich war mir sehr sicher, nicht der Adressat dieser Frage zu sein bis…
„… Black Dragon?“
Ein kurzes Stocken meinerseits verriet mich, das wurde mir sofort bewusst.
Scheiße, das konnte ich wahrlich besser.
Doch noch etwas anderes war es, das meine Aufmerksamkeit forderte. Ich kannte den Besitzer dieser Stimme.
Bitte, ich musste mich irren, ansonsten…
Ich beschleunigte meine Schritte.
Sinnlos. Schreiter, spottete mein innerer Pessimist. Verdammt, konnte er nicht, wie sonst auch, einfach die Klappe halten?
Hinter mir hörte ich ein mitleidiges Seufzen.
Lauf. Lauf. Lauf!, trieb ich mich selbst im Stillen an. Ich hatte mich sicher getäuscht. Er konnte es nicht sein.
Weißer Nebel tauchte vor mir auf.
Zeitgleich ein Aufschlag auf meiner Brust, ein stechender Schmerz bis ins Herz hinein, dann versagte mein Körper mir den Dienst. Wie eine Marionette, deren Fäden durchschnitten worden waren, klappte ich zusammen und blieb reglos auf dem Boden liegen.
Ich hatte mich nicht getäuscht. Der Schneeschatten hatte mir einen Pflock in die Brust gerammt.
Mit einem kühlen Lächeln beugte er sich nun über mich. „Ein überaus flegelhaftes Verhalten. Man sollte dich dringend etwas Benimm lehren.“
So nah hatte ich sein Gesicht, diese seltsamen Augen, bisher nie gesehen und bei der Nacht, ich hätte gerne auch weiter darauf verzichtet! Verflucht, bis vor ein paar Wochen hatte ich diesen Typen noch für eine Grusellegende gehalten.
Er zog meinen linken Arm unter meinem Körper hervor, schnitt hinein und drückte ein kühles metallenes Röhrchen in die Wunde.
„Lektion eins: Man erscheint nicht uneingeladen bei einer geschlossenen Gesellschaft.“
Dieselbe Prozedur vollzog er mit meinem anderen Arm.
„Lektion zwei: Es ziemt sich nicht, auf eine höfliche Ansprache mit davonlaufen zu antworten.“
Ungehindert floss mein Blut auf den Boden, bildete unter mir eine große Lache und ich fragte mich spontan, ob ich als Vampir eigentlich verbluten konnte. Blutverlust schwächte natürlich, dass war bekannt, aber jemanden komplett zu schächten? Konnte uns das töten? Ich war mir nicht sicher und auch wenn ich überhaupt nicht scharf darauf war, dies an mir selbst zu testen, würde ich nichts dagegen tun können, solange dieser verdammte Pflock in meiner Brust steckte.
„Und die dritte und wichtigste Lektion:“, fuhr mein Gegner unterdessen fort und schob eine Klinge in meinen Leib.
Langsam. Zentimeter für Zentimeter.
„Mir entkommen zu wollen ist unsagbar töricht.“
Wozu überhaupt noch dieses ausbluten, wenn er mich ohnehin mit einem Blutdolch tötete? Und warum drehten sich meine letzten Gedanken ausgerechnet darum, anstatt um Damian?
Damian. Eine Erkenntnis traf mich hart und weckte meine letzten Reserven, hielten meinen Geist wach in meinem gelähmten Körper. Das Seelenband. Ich musste es trennen, durfte Damian nicht aufbürden all das hier live mitzuerleben.
Konzentration. Da war es, ich fühlte es deutlicher als jemals zuvor. Das einzige, das mich in der tosenden See des Todes noch über Wasser hielt und mich davor bewahrte für immer in die endlose Schwärze zu versinken.
Was ich eigentlich zerreißen sollte, riss ich an mich und klammerte mich daran fest.
Wenn du dein Versprechen brichst, wird der Tod deine geringste Sorge sein, halten Draculas Worte von damals durch meinen Verstand. Zu Spät. Selbst wenn ich wollte, würde ich nicht mehr die Kraft dazu aufbringen dieses Band zu trennen.
Halte durch, spukte es durch meinen Geist. Ob der Gedanke von mir selbst herrührte oder eine Aufforderung von Damian war, konnte ich schon nicht mehr sagen. Die vage Erinnerung, wie mein Gefährte mir die Haare aus dem Gesicht gestrichen hatte, war das letzte, was ich wahrnahm, ehe mein Bewusstsein zerfaserte.
Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, bereute ich es sofort. Gleißendes Licht blendete mich. Unter mir fühlte ich … Gras?
Verzweifelt versuchte ich, gegen die Helligkeit anzublinzeln. Vergeblich. Also wandte ich den Kopf ab. Ein Blick an mir herunter zeigten mir keinerlei Spuren der Verletzungen, welche mir der Schneeschatten zugefügt hatte. Dennoch fühlte ich mich schwach.
Eine Briese umfing mich und sich versuchte mehr von der Umgebung wahrzunehmen. Das Zwitschern von Vögeln und der Geruch von frischem Gras umgab mich. Über mir ein heller blauer und sternloser Himmel, was mich zutiefst irritierte.
Und dann dieses Licht, das man nicht ansehen konnte, ohne dass mir die Augen tränten. War das die Sonne? Als dieser Gedanke durch meinen Geist streift schreckte ich hoch. Unmöglich. Als wollte ich mich selbst überzeugen, sah ich auf meine Haut. Nein es verbrannte mich nicht.
Keine Sonne. Kein Tag. Oder doch?
Vor mir tauchte plötzlich eine Gestalt auf. Das einzig angenehme dunkel in all diesem grässlichen Licht.
Ein schwarzer Mantel, durch den ein kahler Schädel schimmerte. Verwirrt blinzelte ich. Den Anblick kannte ich von etlichen Abbildungen der Menschen. So stellten diese sich den personifizierten Tod vor.
Obwohl ein Schädel keine Gefühlsregungen zeigen kann, war da eine seltsame Gewissheit in mir, dass dieser Knochen grinste.
„Dann wollen wir uns mal der Entscheidung widmen, ob du Leben oder sterben darfst.“
Die Gestalt umrundete mich, immer exakt so, dass ich in diesen verdammten Lichtkegel blicken musste, um sie anzusehen.
„Nun denn, nenne mir einen Grund, der dein Weiterleben rechtfertigen würde“, forderte mein Gegenüber.
Einen? Mir fielen hunderte ein. „Warum sollte ich das tun?“, fragte ich trotzdem.
War das hier ein Trick? Ein Versuch, Informationen aus mir herauszubekommen?
„Lediglich meine Huld bewahrt dich vor der sengenden Sonne, die deinen Leib verzehrt. Ist das nicht Grund genug?“, raunte Gevatter Tod mir ins Ohr, ehe er wieder etwas auf Abstand ging. „Oder bist du womöglich dem Wahn verfallen, du könntest die Klinge eines Schreiters überleben?“, fragte der Schädel und lachte gehässig.
Hatte er den Schneeschatten vor sich? Aber der war kein Manipulator. Oder doch?
„Du zeigst keinerlei Furcht vor dem Tod, warum also willst du leben?“, fragte er erneut.
„Tod zu sein klingt mir etwas zu endgültig“, antwortete ich schulterzuckend, wobei ich längst nicht so cool war, wie ich versuchte mich zu geben. Leider hörte man das meiner Stimme auch an.
„Das ist ein schwaches Argument.“
„Was erhoffst du dir, von mir zu erfahren? Irgendwas was du gegen den Clan verwenden kannst?“, beharrte ich trotzig, während sich ein unschöner Gedanke in meinem Kopf manifestierte: Was, wenn das wirklich der Tod war?
„Ich bin älter, als dein Verstand zu begreifen vermag. Es gibt nichts, das du mir mitteilen könntest, dass ich nicht schon längst weiß. Mir gelüstet es lediglich nach ein wenig Amüsement. Also, was hast du noch zu verlieren?“
Eine Menge. Mein Leben war zwar ein geringer Preis für die Sicherheit derer, die ich liebte und die ich zu schützen geschworen hatte. Dennoch wollte ich nicht sterben.
„Was könnte ich schon jemandem bieten, der älter ist als ich es zu begreifen vermag?“ Meine Bemühungen gleichgültig zu klingen versagten zunehmend.
„Bedauerlich.“ Mein Gegenüber kam einen Schritt auf mich zu. Träge wich ich zurück. Doch er machte keine Anstalten mich zu attackieren.
„Du langweilst mich. Somit fällt meine Entscheidung wohl auf den Tod.“
In meinem Rücken stoppte mich ein Baumstamm. Gemächlich schritt mein Gegenüber auf mich zu, hob langsam die Hand. Er trug keine Waffe und trotzdem überfiel mich die Erkenntnis, das ich sterben würde. Niemals würde ich die Kraft aufbringen, ihn aufzuhalten, noch davon zu kommen. Das Licht schien heller zu werden.
„Warte!“, rief ich endlich. Es gab so vieles, was ich noch vom Leben wollte. Mehr Zeit mit meiner Schwester verbringen, zum Beispiel. Auch wenn sie mich nicht mehr braucht, wollte ich sie noch viel öfter Lachen sehen. Das Lied beenden, dass ich angefangen hatte, für Damian zu schreiben und am allerwichtigsten, ich wollte ihn im Arm halten und ihm sagen das ich ihn liebe. Nichts davon schien mir jedoch geeignet, um diesen Mann zu überzeugen.
„Ich sterbe nicht, ehe ich diesen Drecksack umgebracht habe!“, grollte ich schließlich, gefangen in meinen ganzen Erinnerungen, die immer wieder vollkommen durcheinanderwirbelten.
„Deinen Mörder?“, hakte der Tod nach.
„Nein der ist mir egal.“ Tatsächlich hegte ich gegen den Schneeschatten nur wenig Groll. Sein Angriff war alltägliches Risiko und allerhöchstens würde ich ihm, für die Art und Weise wie er mich überwältigt hatte, gern das Messer in die Eingeweide jagen. Wieder hatte ich das Gefühl eine Mimik wahrzunehmen, wo keine vorhanden sein konnte.
Erstaunen? Neugierde?
„Nein, ich meine Kain. Diese Pest wird noch den Tag verfluchen, an dem er geboren wurde!“
Verdammt, jetzt klang ich schon wie Drewfire.
„Du bietest mir sein Leben gegen deines?“
Abermals fragte ich mich, ob das hier real war oder irgendein bizarrer Trick. Vielleicht auch nur ein Traum?
Nein, in einem Traum kam einem nie die Frage in den Sinn, ob es einer sei.
„Wenn du wirklich der Tod bist, sollte dir dann nicht ohnehin schon jedes Leben gehören? Wie könnte ich dir dann ein anderes im Tausch anbieten?“
Er lachte. „Kluger Junge.“
Aha. Da hatte ich ihm wohl eine geistreiche Erwiderung vorweggenommen.
Wieder schritt er langsam um mich herum und ich blinzelte gegen das gleißende Licht hinter ihm an, das in meine Augen stach, sobald er sich bewegte.
„Womöglich bringt mir dein Ableben aber einen höheren Nutzen als das von Kain. Es würde euer Oberhaupt sicher verärgern, sollte ich den Gefährten seines einzigen Sohnes mit mir nehmen.“
Dracula? Was hatte der denn jetzt damit zu tun? Ein verärgertes Schnauben entfuhr mir. „Vermutlich würdest du ihn eher ärgern, wenn ich lebend zurückkehre“, murmelte ich vor mich hin. Wahrscheinlich war das übertrieben, aber sonderlich begeistert über Damians und meine Beziehung war Dracula nie gewesen. Er konnte mich nicht leiden und hatte es nur hingenommen, weil es seinen Sohn glücklich machte.
Ein schauerliches Lachen holte mich aus meinen Gedanken zurück. „Nun denn, dann soll es so sein.“ Mit einem Mal schien das Licht zuzunehmen. Ich kniff die Augen zusammen, aber selbst durch die geschlossenen Lider hindurch blendete es mich.
Noch einmal hörte ich die dunkle Stimme des Todes. Oder war sie nur in meinem Kopf?
„Bestelle eurem Despoten meine besten Wünsche. Er schuldet mir etwas für meine Nachsicht, seinen geliebten Sohn nicht zum Witmann werden zu lassen.“
Ich wollte widersprechen. Doch als ich die Augen wieder öffnete, war ich allein. Tiefe Erschöpfung machte sich in mir breit. Bis eben hatte ich die Anspannung, die mich wachgehalten hatte, nicht wahrgenommen, aber nun, wo sie von mir abfiel, nahm sie mein Bewus…
„…duin … Balduin.“ Ich blinzelte. Über mir erkannte ich einen Schatten, eine vertraute Gestalt. Es dauerte einige Sekunden, ehe mein Hirn einen Namen ausspuckte. Damian. Ich leckte mir über die trockenen Lippen und auch meine Zunge fühlte sich rau an wie die einer Katze. Mein Liebster hob mich hoch. Mein Kopf fiel zur Seite und ich sah einen kleinen Raum. Wände mit einer Fototapete einer Blumenwiese und wolkenlosem Himmel. Der Boden mit einer Art künstlichem Gras ausgestattet. An der Decke eine dieser grässlichen Lampen, wie die Menschen sie brauchten. Wie auch immer man bei so viel Licht etwas sehen sollte.
„Wir gehen nach Hause.“ Damians beruhigenden Worte holten meine Aufmerksamkeit zu ihm zurück. Ehe ich realisierte, was er vorhatte, packte mich das Gefühl alles zu verlieren was mich ausmachte. Übelkeit packte mich. Ich presste mein Gesicht in das weiche Kissen meines Bettes, nachdem ich abgelegt wurde und versuchte, das Schwindelgefühl loszuwerden.
Ich musst ein weiteres Mal weggetreten sein und erwachte mit dem Geschmack von Blut auf meinen Lippen. Damian saß neben mir und reichte mir einen Kelch mit weiterem Blut. Ich stürzte es herunter und nahm nur am Rande wahr, dass es schal schmeckte.
Wieder leckte ich mir über die Lippen. Ein wundervoller Geschmack kitzelte meine Geschmacksnerven.
Damian. Er hatte mir sein Blut gegeben. Deshalb war das menschliche so geschmacklos. Ich musste wirklich übel zugerichtet gewesen sein, wenn er es mir eingeflößt hatte. Das hätte er nie ohne mein Wissen getan, wenn es nicht dringlich gewesen wäre.
„Wie fühlst du dich? Ich hab keine Verletzungen finden können“, erkundigte mein Gefährte sich nun besorgt.
Ich starrte ihn fassungslos an. Was? Damian hatte mich offenbar umgezogen, aber ich hielt mich kaum damit auf. Ich zog das Shirt hoch und starrte auf meine makellose Tätowierung, an der Stelle an der die Blutklinge mich getroffen hatte. Aber … wie?
Eine Fälschung. Das brennen der Blutklinge musste Einbildung gewesen sein, durch die Erwartung eines solchen entstanden, erklärte ich mir selbst im Stillen.
Geschwächt durch das Ausbluten, hatte er mich wohl für Manipulationen gefügig gemacht.
Jener merkwürdige Raum. Doch nur ein Trick. Ich war lediglich der Spielball eines gelangweilten Schreiters gewesen.
DAS machte mich jetzt wirklich wütend.
Deswegen dieses Gefühl, eine Mimik zu erkennen. Ich hatte die Bewegungen unter einer Maske, die der Schneeschatten getragen haben musste, erkannt.
Was für ein Arschloch!
„Balduin? Alles in Ordnung?“
Ich sah in die besorgten Augen meines Liebsten und die Botschaft, die der Schreiter mir mit auf den Weg gegeben hatte kam mir wieder in den Sinn und mit ihr die Erkenntnis, wie viel Glück ich gehabt hatte.
„Alles in Ordnung“, erwiderte ich und küsste Damian. „Ich liebe dich.“
Der Schneeschatten lässt anmerken, dass er sich klar von dieser innenarchitektonischen Gräueltat distanziert! Er hat sich lediglich die grausigen Gegebenheiten zu nutze gemacht!